Herausforderungen vs. Probleme

Herausforderungen vs. Probleme

Mein Leben nimmt immer mehr Gestalt an.

…Die Arbeit hat mich wieder…oder ich sie?
…In der Beziehung ist alles bestens…
…Der Sohn wächśt und gedeiht…
…Die Familie ist wie sie ist…

Je mehr Zeit vergeht, desto weniger überkommen mich Angst- und Panikattacken. Die Gedanken an eine mögliche Ohnmacht werden geringer.

Klar bin ich noch sensibel auf meine Körpergefühle. Vermutlich bleibe ich das auch. Wenn mein Alltag sehr viel Stress mit sich bringt, dann tauchen Angst- und Panik vermehrt auf…

Ich weiß, dass sie wieder verschwinden (die beruhigenden 45 Minuten aus „Angst vor der Angst“)… Ich erkenne den Stress, weiß meistens warum diese Gefühle kommen und halte sie aus…

…aber mache ich was gegen den Stress?…

Nein, ich nehme die Situation hin. Wie ein Autofahrer der Vollgas fährt, in eine Radarfalle gerät und das Gas nicht wegnimmt sondern in die nächste Fälle fährt.

…manche lernen es einfach nicht…

Ich mache ja Sport, der tut mir gut. Egal ob er schnell „reingeschoben“ wird. Irgendwie passt das schon…

< Zum Abendessen verabredet um 19:00 Uhr
< Arbeiten mal nur bis kurz vor 18 Uhr, dann passt noch eine schnelle
Joggingrunde vorm Date
< Joggen, Duschen und pünktlich bei der Verabredung

… toll, wie das alles klappt… immer wieder…

Natürlich ist das Leben nicht nur einfach.

„Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen!“, ist mein Lebensmotto. Selbst mein Chef hat diesen Satz schon mehrmals benutzt. Es gibt für alles eine Lösung. Wenn ich keine weiß, dann kenne ich jemanden, der eine hat oder der jemanden kennt, der… usw.

Lösungsfindung für alle und jeden ist ein Leichtes für mich…

… toll, wie das alles klappt… und die Anerkennung!

Es gibt Situationen, die ich in meinem sehr ehrlich und offen geschriebenen Blog nicht thematisieren werde, die aber ganz klar auch in meiner Aufarbeitung ihren wichtigen Platz haben. Daher entschließe ich mich nur ein einschneidendes Erlebnis öffentlich zu machen.

Ich glaube es war der 30. April 2015, als meine Schwester mich im Büro anruft mit den Worten: „Die Mama hatte nen Schlaganfall!“

Einige Monate zuvor… oder sogar Jahre?… bei einem meiner seltenen Besuche hat meine Mutter mich am Arm genommen und ist an ihren Schrank mit Unterlagen gegangen: „Wenn mir irgendwann mal was passiert, dann ist hier in diesem Umschlag alles drin, was ihr wissen müsst. Es ist alles klar geregelt.“

Ein brauner DIN A4 Umschlag.

Jetzt prasseln viele Fragen auf uns ein. Was wollte ihre Mutter? Wie soll es weitergehen?… Aber es gibt den Umschlag, da sind die Lösungen drin…

…toll wie das klappt… Dann der Schock: Der Umschlag ist weg!

Ich stelle die gesamte Wohnung auf den Kopf aber finde ihn nicht!

…Das kann doch nicht sein…
…Er muss hier sein…
…Ich bin der einzige, der weiß wo er ist…
…Meine Mutter ist in einer Situation, in der sie nie sein wollte…
…nur ich hätte sie erlösen, für Klarheit und ihren Willen sorgen können, mit
dem erlösenden Inhalt des Umschlages…
…weg…

Blind wie ich bin, erkenne ich nicht, dass es nicht für alle Situationen Lösungen gibt.
Es gibt nicht nur Herausforderungen, sondern auch echte Probleme, die man nicht mit einer Wortfloskel herabtun kann.

Mein Leitmotto stößt an seine Grenzen. Ich muss erfahren, dass es doch Probleme gibt. Probleme, die sich nicht lösen lassen.

Irgendwann im Sommer 2015 habe ich mich, auf Anraten ihrer Ärzte, von meiner seit Monaten im Koma liegenden Mutter verabschiedet… es hieß sie wache nicht mehr auf.

Was passiert in mir?

…keine Lösung… kenne ich nicht…
…Hilflosigkeit… kenne ich nicht…
…Machtlosigkeit… kenne ich nicht…
…Verantwortung / Schuld… kenne ich…

Heute kann sie nicht mehr sprechen, ist halbseitig gelähmt… eine Pflegefall! Eine Situation, die sie nie wollte!

…und wer hat Schuld? …Überhaupt jemand? …Gab es den Umschlag nicht mehr?

Bis bald Euer
Frank

3 Gedanken zu „Herausforderungen vs. Probleme

  1. Das ist sehr heftig, was Du hier erleben musst(est).
    Ich habe das gleiche Motto, statt Probleme, Herausforderungen. Obwohl es ja letztlich nur eine andere Verpackung, ein anderer Blickwinkel auf die gleiche Situation ist. 😉 Das ganze soll ja suggerieren. ich schaffe alles…. Und ich sehe es auch mittlerweile differenzierter. Es gibt für manche Probleme nicht gleich eine Lösung. Es gibt viele Dinge, die erst später zu lösen sind, einige lösen sich von Ihnen alleine z.B. durch den Tod.
    Es ist legitim und menschlich Hilflosigkeit und Traurigkeit zu fühlen. Einige Dinge wie Krankheit und Tod sind unabänderlich.
    Wichtig finde ich, dass man lernt, neben der Hilflosigkeit Anker des Handelns zu schaffen. Irgendetwas tun zu können, aktiv zu handeln ist ein heilsamer Gegenpart und verhilft zu mehr Akzeptanz der Situation gegenüber. LG Simone

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