Alltag mit der „bewältigten“ Angst

Alltag mit der „bewältigten“ Angst

April 2010: Mein Alltag und mein Leben haben mich wieder… Yeah…

Das ist nicht ironisch gemeint, ich freue mich tatsächlich wieder Normalität zu leben…

…eingeschränkt…

Vieles geht wieder, einige Dinge mache ich einfach nicht gern. Alles kostet mich sehr viel Kraft, Überwindung und teilweise viel Zuspruch meiner Familie und Freunde… oder mich Ausreden…

„Motorradfahren? Nein, das mache ich nicht mehr. Viel zu teuer! Und außerdem habe ich Verantwortung, die das Risiko nicht wert ist.“

… Ausrede geschluckt… jedes Mal…

Der erste Urlaub nach der Angst steht an. Ich freue mich riesig, unsere Verwandten in Barcelona zu besuchen.
Aber der Hinflug… Unruhe auf dem Weg zum Flughafen… Nervosität vorm Boarding… dann die gefühlt ewige Warterei vorm Start…

Ich bin der einzige Mensch, der den Stewardessen gespannt zuhört, wenn die Sicherheitsmaßnahmen und Notwege erklärt werden. Das abgegriffene, laminierte DIN A4 Blatt mit allen Notfallverhaltensweisen ist mein bester Freund, an dem kann ich mich festhalten… meine Frau ist schon in ihr Buch versunken, mein Sohn hört Musik… Keiner von beiden interessiert sich für das, was unser Leben retten kann…

Jetzt geht’s aufˋs Rollfeld… mein Puls ist sogar in den Schläfen spürbar… das Flugzeug hält an… oh Gott… das Flugzeug beschleunigt… die Hand meiner Frau ist vom Zudrücken bestimmt ganz taub… Das Flugzeug hebt ab…
Alles gut… jedes Mal…

In Barcelona wird es bestimmt schön, nur wie verhindere ich das U-Bahn fahren?
Diese dunklen Tunnel unter der Erde, die Einstürzen können. Oder viel schlimmer, in denen mir keiner hilft, weil alles zu eng ist!
Die Lösung: wir erkunden die Stadt mit dem Fahrrad…

…ich merke, wie kompliziert meine Angst unseren Urlaub macht…

Die Reise von Deutschland nach Barcelona mit dem Auto wird mir immer wieder als Alternative vorgeschlagen. Für mich kommt das nicht in Frage. Ich fahre zwar wieder Auto, aber lange Strecken nur mit vielen Pausen und sehr angespannt.
Die sinnvollste Ausrede hierfür ist der Faktor Zeit: „Ich möchte nicht 1-2 Tage im Auto sitzen, um nach Barcelona zu kommen. Dorthin, wo wir kein Auto brauchen. Das sind kostbare Urlaubstage.“, kontere ich.

… Ausrede geschluckt… jedes Mal…

Meinem Sohn verspreche ich 2014, zu Beginn der Ferien einen Besuch im Freizeitpark mit Übernachtung zu machen. Quasi ein Männerwochenende!
Abends Anreise, im mittelalterlichen Hotel einchecken. Gemütlich Pizza essen… Frühstück am nächsten morgen und dann… der Park…
Was denkt wohl mein Sohn von mir? Bei allen coolen Sachen fallen mir ausreden ein, oder ich appelliere auf das Verständnis meines Sohnes…

Es tut mir wirklich in der Seele weh, selbst das Gefühl zu haben, als Vater immer mehr in der Weicheischublade zu verschwinden…

Ich überwinde mich. Wir stellen uns bei einer, meiner Meinung nach relativ harmlosen Achterbahn an… 20 Minuten später sitzen wir drin… der Sicherheitsbügel wird mir fest in den Bauch gedrückt bis er einrastet… es fühlt sich an wie beim Flugzeugstart… aber keine Hand, die ich halte, ich presse den Sicherheitsbügel zusammen und schreie um mein Leben… ca. 45 Sekunden später ist alles vorbei… Als Überlebender verlassen ich stolz die Bahn… Vaterehre gerettet…

Solche oder ähnliche Erlebnisse kommen immer wieder vor
. Und wenn ich alleine unterwegs bin, ist mein Handy mein wichtigster Begleiter… immer dabei… immer aufgeladen…

Ob ich irgendwann herausfinde, dass ich mir jahrelang selbst in die Tasche lüge und an Lebensqualität verliere?

Euer Frank

4 Gedanken zu „Alltag mit der „bewältigten“ Angst

  1. Ja, Du hast es doch schon herausgefunden! Du bist sogar so mutig, über Deinen Umgang mit der Angst zu schreiben und den Text zu veröffentlichen. Mehr geht nicht, denke ich. Mich berühren Deine Texte sehr, weil ich genau weiß, wovon Du sprichst.

    1. Danke Dir! Ja, ich kenne die Antwort. Ich schreibe jedoch meine „Geschichte“ im Rahmen der Aufarbeitung auf und da kommt es vor, dass ich die Fragen in der Form stelle.
      Ich freue mich, dass es immer mehr Menschen gibt, die nachfühlen können, wie es mir geht und es auch schaffen, Kommentare zu schreiben, denn das ist mindestens genauso mutig!

  2. Guten Tag,
    es ist wirklich erstaunlich, wie das Gehirn arbeitet und sich selbst „Flausen“ in den Kopf setzten kann. Es wäre
    interessant zu wissen, wie es bis dorthin kommt. Ich selber kann diese „Flausen im Kopf“ nachvollziehen! Ich nehme an, es sind sowas, vergleichbar mit Menschen(Stimmen/Gedankenblitze), in deinem Kopf, um es grob zu sagen, weil ich nicht weiß, wie ich es besser sagen soll, die einem selbst Hinweise, Warnungen und Angst etc. vermittelt.
    Spreche aus eigener Erfahrung. Anfangs denkt das Gehirn(so hat es mir eine Ärztin erklärt), dass ist komisch, Stimmen tut es auch nicht was sollen diese Gedanken in meinem Kopf!(abgeschaltet aber nicht weg)
    Die Gedanken kommen aufs neue und es wird immer schwieriger es abzuschalten(Realitätsverlust), bis das Gehirn selbst anfängt zu glauben, was es für „Gedankenblitze“ hat und es verfestigt sich! Hört sich meiner Meinung Psychotisch an, um ehrlich zu sein, was sich auch durch Stress entpuppt, was zurfolge hat, wie Depressionen, Antriebsverlust und Lustlosigkeit, sowie Angst(z.B: das Haus zu verlassen). Um einen Punkt zu machen, das ist ein DICKESDING! Und ich denke nicht, dass du deinem Sohn etwas beweisen musst, eher willst du dir selbst etwas beweisen! Dein Sohn liebt dich, so wie du bist, sowie du es ihm gleich tust!

    LG Annonymous

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