Schneckenhalde 13
Es ist soweit, der 02. November 2015, meine Frau fährt mich in die Klinik. Ich habe Angst, Panikattacken, immer wieder…
…Die Ungewissheit…
… wo komme ich hin?
… kann ich wieder „normal“ werden?
… was ist konkret mit mir?
… wird mir endlich geholfen?
ein Beruhigungsmittel läßt mich die Fahrt überstehen. Und der Gedanke, mich bald in Sicherheit zu wissen, macht das Ganze ansatzweise erträglich.
Jetzt sind wir da, Rhein-Jura-Klinik (RJK) in Bad Säckingen, Schneckenhalde 13 (http://www.rhein-jura-klinik.de/). Ich weiß noch nicht, dass ich auf dieser ca. 300 Meter langen Straße den ersten Schritt in eine mir nicht mehr bekannte Freiheit gehen werde.
Mit Betreten der Klinik bin ich schon etwas überrascht, sofern dass in meinem Zustand möglich ist. Von der sehr netten Empfangsdame auf eines der Sofas im Wartebereich geschickt, suche ich vergeblich die „Weißkittel“ und die Leute mit Zwangsjacke…
… Vergebens!…
Eine wiederum sehr nette Dame holt mich zum Aufnahmegespräch ab. In einem sehr angenehmen Gespräch erzähle ich was mit mir los ist und alle waren absolut einfühlsam und verständnisvoll. Jedoch blieb ich sehr skeptisch, schließlich bin ich in einer psychosomatischen Klinik.
Die nächste Überraschung war mein Zimmer, kein Krankenhauszimmer im kalten, sterilen Weiß. Ein kleines Zimmer, sehr gemütlich eingerichtet. Auch keine Möglichkeit eine Zwangsjacke zu befestigen, sondern ganz normale Möbel.
Das verständnisvolle Personal erklärt mir ein paar Regeln, alles ganz normal und für mich nachvollziehbar.
„Hier wird nichts mit Ihnen gemacht, was Sie nicht wollen!“, erklärt mir meine zuständige Ärztin. „Sie sind schließlich ein vollmündiger Mensch!“
…Bin ich das? In meinem Zustand?…
Nach dem Ankunftsprozedere verabschiedet sich meine Frau von mir. Jetzt bin ich allein… irgendwo dort, wo ich nicht sein will… was kommt auf mich zu?
Ich weiß, dass es für meine Frau auch eine Ungewissheit ist, jedoch auch absolut gut, mich medizinisch aufgehoben zu wissen.
… ob Sie mich besuchen kommt?…
Jetzt heißt es ankommen. Mit der Situation in einer psychosomatischer Klinik klar zu kommen. Als Angstpatient mit einer schweren Depression.
Im Kopf war mir das relativ bald klar, doch alle Vitalzeichen stehen auf „Ablehnung“.
Hoher Puls, permanent hoher Blutdruck und innere Unruhe kamen zu den schlaflosen Nächten mit frühen Aufwachphasen hinzu. Ich hatte gelesen, dass die Ankunftstage / – Wochen in einer Klinik anstrengend sind, weil der Körper nochmal anders „runterfährt“.
Mit einer Engelsgeduld haben die Ärzte und Schwestern immer und immer wieder meine immer und immer wieder gleichen Fragen beantwortet:
… komme ich hier wieder raus?
… geht meine Angst weg?
… ich kann nicht mehr raus vor lauter Angst
… ich habe sogar in den Gängen der Klinik Angst.
… was nützt mir der Fitnessraum, wenn ich nicht hin kann aus Angst mir passiere etwas?
… wieso bin ich so anders als normal?
… ich habe keine Lust zu garnichts!
… ich habe Angst mir etwas anzutun!
… das Tabuthema suizidale Gedanken, warum sind die da, ich will das nicht?!
Eine Antwort hat mich sehr beeindruckt. Trotz der eben geschilderten Situationen antwortet mir die Ärztin: „Herr Faller, sie sind absolut normal. Alles, was sie erzählen und anzweifeln ist normal. Normal für ihre derzeitige Situation. Sie sind damit auch nicht alleine. Bis zu 60% unserer Patienten haben Suizidgedanken. Alles gehört zum Krankheitsbild und ja, sie werden wieder gesund, aber es bedarf Arbeit, ihrer Arbeit bzw. Mitarbeit!“
…Krankheitsbild? …Mitarbeit? …Alles normal?
Ich bin aufgrund der sehr emotional-stressigen Zeit in den letzten Monaten/Jahren in eine Krankheit gerutscht.
…Depression… diese gesellschaftlich schwächebekundende Krankheit für Weicheier?
…Burnout… die Krankheit für die armen überlasteten Workerholics?
Hand aufˋs Herz, wer denkt nicht genau so über die Krankheiten. Leider! Für mich beide relativ ähnlich mit den selben Ursachen.
Ohne Wertung betrachtet ist es schlichtweg eine schleichende Stoffwechselkrankheit, und nichts anderes. Eine Krankheit, die wirklich, je nach Veranlagung, jeden treffen kann.
Allein dieses Wissen, das man in den Gruppentherapien lernt, hilft einem zu Verstehen und seine Situation anzunehmen. Ein wesentlicher Aspekt sind die Gespräche mit anderen Patienten.
… die wissen wie man sich fühlt.
… die wissen was man fühlt.
… die wissen, was man braucht.
… keiner muss sich verstellen.
… man hilft sich im Rahmen der Möglichkeiten.
… irgendwann kann man sogar miteinander lachen.
Heute bin ich sehr froh um diese Menschen, von denen mir ein paar sehr gute Freunde und wichtige Ratgeber geworden sind!
Schließlich haben diese Personen einen großen Teil meiner „Scheißzeit“ mitbekommen. Sie haben gesehen, wenn es mir nicht gut ging. Wenn man total fertig im Speisesaal sitzt, separat, ohne Kontakt haben zu wollen. Sie haben mitgefühlt und vor allem verstanden. Verstanden, was man grad braucht.
Ich habe sehr viele coole und tiefgründige Gespräche geführt. Mit sehr interessanten und intelligente Menschen, nein Persönlichkeiten. Vom Richter, Lehrer, Vorstandsmitglied über CEO und Projektmanager.
An dieser Stelle ein großes DANKE an alle, die genau wissen, dass sie gemeint sind.
Meine Angst macht mir zusätzlich sehr zu schaffen. Eine Herausforderung für jeden Therapeuten:
…Was geht man zuerst an?
…Mit einem Patienten, der nicht hier sein will?
…der sich innerlich sträubt?
…der nach einer Woche fragt, ob er nach 4 Wochen wieder gesund entlassen ist?
…dem das wichtigste ist, seine Job wieder ausüben zu können?
Da meine Angst mich sehr einengt und eine Heilung aller anderen Themen im Weg steht, ist die Angstbewältigung der erste und wichtigste Schritt.
Aufgrund meiner Erlebnisse aus 2009 (Die Angst vor der Angst) bin ich ja bestens informiert und weiß Bescheid.
… Dachte ich…
Heute weiß ich, dass ich die Angst nie ganz los war und mir die letzten 6 Jahre wirklich in die Tasche gelogen habe.
Ich habe viele Zusammenhänge gelernt. Warum reagiert mein Körper wie er reagiert? Was ist KOERPERSsprache® wenn es zuviel wird. Für mich enorm wichtig zu verstehen, warum etwas passiert und wie es zusammen hängt.
Sehr akribisch habe ich mit meiner Therapeutin die Expositionsübungen (siehe Die Angst vor der Angst). Es fing an, mich ohne Handy in der Klinik zu bewegen. Dann das erste mal ohne Handy raus. Mein Ziel einmal die Schneckenhalde entlang zu laufen.
…was für ein Horrortripp…
Ich bin von Straßenlaterne zu Straßenlaterne gelaufen. Habe mich dann festgehalten, weil ich das Gefühl hatte umzukippen.
Endlich kamen mir Leute entgegen… Soll ich die Fragen, ob Sie mich zurück begleiten?…ich bin schon 100 Meter gelaufen… Nein, es ist meine Übung, ich will die Angst erleben und merken wie sie weniger wird… und siehe da… ich habe die Runde geschafft.
Solche Übungen habe ich viele gemacht. Häufig Panikattacken durchlaufen, dieses Ohnmachtsgefühl, dieses Brustbrennen…
Eines Tages hatte ich an meiner Zimmertür ein Zitat von Winston Churchill hängen (Wer auch immer es da befestigt hat!): „If you ˋre going through hell, keep going!“
… Ich weiß es nicht, aber vielleicht war das ein Schlüsselerlebnis.
Bei einer meiner Expositionsübungen ging es darum, fremde Wege zu laufen oder zu joggen, ohne Handy, abgelegen, ohne viele Menschenbegegnungen.
Ich mache mich auf den Weg irgendwo hin, irgendwelche Wege im Bad Säckinger Wald zu laufen. Es ist ein regnerischer Tag aber wunderschön zum Joggen. Und plötzlich passiert es wirklich… Ich habe keine Ahnung mehr wo ich bin… Die Panikattacke kommt… so schlimm wie noch nie und dann…
… dann der Gedanke an den Spruch von der Zimmertür… und ich renne einfach weiter… durchlaufe die Hölle aller Angstgefühle und irgendwann kommt der Gedanke: „Ich habe keine Lust mehr auf diese Angst, wenn es bedeutet, dass ich jetzt sterben muss, dann ist das halt so…“
…weg… verschwunden… die Panik hat nachgelassen und ab diesem Zeitpunkt habe ich immer weniger Panikattacken… ich bin wieder frei!
…oder erstmals wirklich frei?…
Auch die Anzeichen der Depression sind wesentlich besser geworden. Es beginnt eine Zeit, mit viel Gedanken-, Gefühls- und Handeln-Arbeit. Viel Arbeit an sich selbst mit vielen spannenden aber anstrengenden Entdeckungen.
Mir ist durch viele intensive Ausarbeitung klar geworden… was ich will… was meine Bedürfnisse sind… Warum ich so ticke wie ich ticke..
Meiner Meinung nach, sollte jeder einmal diese Möglichkeit haben, sich so intensiv mit sich selbst zu beschäftigen.
Aus den im November von mir angedachten 4 Wochen Klinik waren 103 Tage geworden. Es ist für einen Außenstehenden sicherlich nicht nachvollziehbar, jedoch diese Zeit braucht man wirklich. Ich war nach zwei Monaten so stabil, dass ich hätte nach Hause gehen können ABER ich habe gespürt, dass ich mit meiner Arbeit an und mit mir selbst noch nicht fertig bin und einfach noch Zeit brauche.
… Zeit, die mir als sehr wertvoll in Erinnerung bleibt…
… Zeit, die ich nicht missen möchte…
… Zeit, die irgendwie mein Leben verändert….
Ich bin gut vorbereitet aus der Klinik nach Hause gekommen und habe viele Dinge einfach wieder gemacht.
… Meinen Lieblingssport…
… Motorradfahren…
… ohne Handy ins Freie gehen
… EINFACH HERRLICH
auch wenn der Weg in das normale Leben nicht nur einfach ist. Man selbst verändert sich, bekommt andere Impulse. Die Welt draußen dreht sich weiter und bekommt von der inneren Veränderung wenig oder nichts mit. Jetzt gilt es sich neu zurecht zu finden.
Man bekommt keine Bedienungsanleitung für sich selbst mit auf den Weg, die man den Menschen, die einen umgeben, aushändigen kann frei nach dem Motto: „Da bin ich wieder, hier steht alles drin, was ihr über mein neues ICH wissen müsst.“
Es beginnt eine neue, spannende aber auch herausfordernde Zeit, in der ich mein Leben wieder lebe.
Es heißt immer, dass jede Krise auch ihr Gutes hat und man gestärkt aus ihr herausgeht! Dies kann ich nur bestätigen und rückblickend betrachtet, war die Einweisung in die Klinik die beste Entscheidung, die ich in meiner Situation vor 103 Tagen treffen konnte.
Ich hoffe, ich werde nicht wieder in eine solche Situation kommen. Falls doch, werde ich keine Minute zögern die Nummer der RJK zu wählen.
Bis bald!
Euer Frank